writing.
(Since Tom writes in his native language, we are switching to German now.)
Tom schreibt die literarische Kolumnenreihe „Human Resources“ über fiktive Leute und ihren fiktiven Alltag.
Eifler flirtet
Tillmann Eifler stand allein zwischen tanzenden Menschen und wippte unregelmäßig mit den Beinen. Er hasste Clubs. Seine Hände umklammerten einen Caipirinha, seine Augen suchten die Menge ab.
Gekommen war er mit Nick, von dem er nie wusste, ob er mehr Freund oder mehr Kollege war. Eifler hatte sich überreden lassen. Er wusste genau, wie solche Abende abliefen. Nick begrüßte jeden mit Namen, und nach zwei Minuten sah Eifler ihn von hinten in der Menge verschwinden, eine Frau in jedem Arm. Heute waren es zwei Blondinen gewesen. Eifler war Frauen hier bisher nur nahgekommen, wenn er versehentlich eine angerempelt hatte.
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Er zwang sich zu tanzen. Einen zurückhaltenden, risikofreien Two-Step, bei dem sich nur seine Beine bewegten. Die Hände umklammerten weiter den Caipirinha. Ungeschickt schlurften seine Lederschuhe über den Clubboden.
Im Club gehörte Eifler stets zu den Anzugträgern. Hemd, Sakko und meist auch Krawatte, deren Farbe sich dann im Einstecktuch wiederfand. Er ahnte, dass der Anzug Teil des Problems war, warum er sich hier fremd fühlte. Er kleidete sich falsch, bewegte sich falsch, sagte das Falsche und trank das Falsche.
Frustriert nippte er an seinem Caipi. Neben ihm tanzte ein Mann in seinem Alter mit einer hübschen Frau. Er trug Jeans und Sneaker.
Eifler schüttelte den Kopf. Nein, das kam nicht in Frage. In seinem Anzug fühlte er sich wohl.
Mühsam drängte er sich durch die Menge und rettete sich an die Bar, wo er einen zweiten Caipirinha orderte.
Eine Hand patschte ihm auf die Schulter.
„Wahnsinns Stimmung hier, was?“, brüllte Nick gegen die Musik an.
Eifler streckte beide Daumen nach oben.
„Schon jemanden kennengelernt?“
Er drehte die Daumen nach unten.
„Das ändern wir.“
Der Bartender schob Eifler den Caipirinha hin. Nick schob ihn angewidert zurück und drückte Eifler stattdessen eine Flasche Bier in die Hand.
„Du redest zu viel“, sagte er dann. „Das ist dein Problem. Mehr flirten, weniger reden.“
Er lockerte Eiflers Krawattenknoten und stopfte das lilafarbene Einstecktuch so tief in die Brusttasche, dass es verschwand.
„Siehst du die Frau da drüben?“
Am anderen Ende der Bar nippte eine gut aussehende Brünette an einem Martini.
Eifler schnaubte. „Machst du Witze?“
Nick patschte ihm wieder auf die Schulter. „Los.“
Eifler schlurfte hinüber und setzte sich auf den Barhocker neben ihr. Mehr flirten, weniger reden, hatte Nick gesagt.
So kam es, dass seine Erdnussallergie nicht zur Sprache kam und er zu aufgeregt war, um die kleine Schale vor ihr zu bemerken, aus der sie aß.
Als er sie küsste, spürte er das Kribbeln.
Eifler kam erst im Rettungswagen wieder zu sich. Neben ihm saß Nick.
„Wir werten das als Erfolg“, sagte der.
Frau Schmidt und die Kulinarik
Das Messer fuhr in kurzen, schnellen Schnitten durch das Fleisch.
Erst quer zur Faser, dann längs, dann quer, dann wieder längs. Übrig blieb ein feingemasertes, würfelförmiges Filetstück. Zwei Zentimeter lang, zwei Zentimeter breit. Nicht mehr als ein Amuse-Bouche.
Frau Schmidt ließ es vom Holzbrett in die Pfanne fallen, wo es zischend im Butterschmalz versank. Sie hatte nie aufgegeben zu kochen. Das Gehen fiel ihr inzwischen schwer, aber stand sie erst einmal am Herd, wurde ihre Einbauküche zum Sterne-Restaurant. Mit schnellen Bewegungen schwenkte sie die Pfanne.
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Das Schmalz schwappte über den Rindfleischwürfel.
Sie schnitt eine Schalotte in dünne Scheiben und gab sie zusammen mit etwas Thymian zum Fleisch. Zwei Minuten sautierte sie den Pfanneninhalt, danach regelte sie die Temperatur herab. Das Fleisch war außen braun, die Zwiebeln glasig.
Sie warf einen Blick durch die Küchentür ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief. Karl-Heinz lag auf dem Sofa.
Aus dem Kühlschrank holte sie eine Scheibe Thunfischfilet und schnitt ein Stück ab. Sie briet es in einer zweiten Pfanne. Unter den kräftigen Rindfleischgeruch mischte sich der feine Duft nach gebratenem Fisch.
Frau Schmidt löschte den Fisch mit einem Schluck Chardonnay ab. Sie nahm das Filet aus der Pfanne und schnitt es in kleine Stücke, die sie anschließend pürierte.
In einem Topf ließ sie etwas Butter schmelzen. Sobald sie braun wurde, gab sie Sahne und Thunfischpüree hinzu und ließ alles köcheln.
Mit zwei Gabeln nahm sie vorsichtig das Fleisch aus der ersten Pfanne. Sie würzte es nicht – zu stark Gewürztes vertrug Karl-Heinz nicht – und drapierte es auf einem großen Teller. Es ließ sich ein gutes Stück zusammendrücken. Etwas Bratensaft floss hinaus, den sie mit Küchenpapier auftupfte. À point. Perfekt.
Sie rollte zwei Scheiben Parmaschinken und legte die Röllchen kunstvoll neben das Fleisch. Von der fertigen Thunfischsoße strich sie einen Esslöffelvoll dekorativ daneben. Zuletzt garnierte sie den Teller mit ein paar Kügelchen Lachskaviar.
Frau Schmidt wischte den Tellerrand sauber und besah sich ihr Werk. Sie nickte zufrieden.
Mühsam bückte sie sich und stellte den Teller auf den Küchenboden.
Karl-Heinz streckte sich auf dem Sofa. Er kam in die Küche, miaute und begann zu fressen.
Heckler im Vierten
Als er zum ersten Mal vor der Fußmatte stand, fehlte Heckler das, wovon er sonst reichlich parat hatte: Worte.
Es hatte für ihn kein Problem dargestellt, auf der jährlichen Mieterzusammenkunft einen abfälligen Kommentar über die Konsistenz der Maibowle in seinen Krawattenknoten zu nuscheln. Er war es auch gewesen, der den Witz mit dem Briefkasten gemacht hatte, als die alte Mühlbach aus dem Dritten sich in dem knallgelben Kleid aus dem Haus getraut hatte. Selbst als die Hausverwaltung entschied, die Fassade ockerfarben streichen zu lassen, hatte er seinen Unmut darüber kundgetan. Das damals sogar in Hörweite der Maler.
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Umso beachtlicher war es, dass Martin Heckler jetzt im vierten Stock vor der Tür zu Apartment Nummer vier null zwo stand und wortlos auf die Fußmatte starrte.
In der vier null zwo schien ein junges Pärchen eingezogen zu sein, Lukas und Nina. Zumindest waren das die Namen, die auf die Matte gedruckt waren. Direkt unter ein Foto der Beiden, das sie Arm in Arm zeigte, aufdringlich in die Kamera lächelnd. Als Hintergrund hatte man per Photoshop Palmen eingefügt.
Lukas und Nina starrten Heckler an. Heckler starrte zurück.
Jahrelang hatte vor der vier null zwo eine angenehm einfarbig braune Fußmatte gelegen, die keine Schlussfolgerung zuließ, wer dort wohnte. Und jetzt das.
Heckler war drauf und dran zu klingeln und Lukas und Nina seine Meinung ins Gesicht zu sagen. Es gelang ihm, stattdessen den Flur nach hinten bis zu seinem Apartment zu gehen. Er betrat es über seine graue Fußmatte.
Was ihm nicht gelang, war, sich zu beruhigen. Was war aus der Anonymität geworden? Kopfnicken auf dem Hausflur, gemurmelte Begrüßungen an den Briefkästen, betretenes Beisammenstehen auf der Mieterzusammenkunft – das war Hecklers favorisierte Form von Nachbarschaft gewesen. Und jetzt nötigte ihn eine Fußmatte, Nachbarn kennenzulernen, deren Namen er bisher nur von der sicheren Distanz der Klingelschilder kannte.
Heckler brühte sich Kaffee auf. Besonders stark. Dann entschied er, dass auch das noch nicht reiche, zog eine Flasche Single Malt aus der Hausbar und machte den Kaffee irish.
Dabei war es nicht einmal so, dass nur das anonyme Nachbarschaftsverhältnis unter der Fußmatte litt. Für Heckler war dank dieser Vergewaltigung des Hausflurs dessen gesamte Seriosität bedroht. Was, wenn er Besuch empfing? Was sollte der denken? Den müsste er schließlich an der Matte vorbei zu seinem Apartment führen. Nicht, dass er oft in die Verlegenheit geriet, Besuch zu empfangen. Aber es hätte ja sein können.
Heckler hatte seine Tasse geleert. Er genehmigte sich noch einmal irish, diesmal ohne coffee. Man müsse etwas tun, beschloss er.
Wenn Heckler beschloss, man müsse etwas tun, hieß das in der Regel, dass er Frau Riebel von der Mietverwaltung anrief und sich beschwerte. Diesmal bat er sie sogar, hoch in den Vierten zu kommen. Dann stand er in der offenen Wohnungstür und beobachtete, wie sie auf dem Weg vom Fahrstuhl zu ihm an Apartment vier null zwo vorbeiging. Sie warf einen langen Blick auf die Fußmatte.
„Was sagen Sie dazu?“, begrüßte Heckler sie.
Frau Riebel warf einen Blick zurück. „Schön, nicht?“
Heckler fiel der Spott aus dem Gesicht. „Wie bitte?“, fragte er nach. „Die Matte?“
Frau Riebel nickte. „Die Verwaltung hat beschlossen, sich bei besonders freundlichen Mietern erkenntlich zu zeigen. Wir schenken ihnen personalisierte Fußmatten. Als Dankeschön.“
Das verschlug ihm die Sprache. Die Verwaltung steckte dahinter? Die würde sich etwas anhören müssen. Zu allererst jetzt und hier Frau Riebel.
„Selbstverständlich gehen die Matten mit einer fünfprozentigen Mietsenkung einher.“
Hecklers Zornesfalten verwandelten sich in ein aufgesetztes Lächeln. Er wies hinter sich in sein Apartment. „Darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen?“
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